Beispiel Trauerrede

von Patricia Tippenhauer

Zur Beerdigung von …?

Seid mir gegrüßt, liebe Schwestern und Brüder,

nach langer, schwerer Krankheit ist sie von uns gegangen. Und obwohl wir vorbereitet waren, geschah ihr Ableben plötzlich und unerwartet. Euer zahlreiches Erscheinen zeigt, wie bedeutsam dieser Moment für euch ist. So wollen wir gemeinsam Abschied nehmen und ihrer gedenken. Darum haben wir uns heute hier versammelt.

Liebe Schwestern und Brüder, lasst uns an die guten Zeiten mit der Verstorbenen erinnern. Die Wege, die wir gemeinsam mit ihr gegangen sind, waren mal kürzer und mal länger, denn jeder von uns stand in einer anderen Beziehung zu ihr.  Möge jeder einzelne also in sich gehen und spüren, was genau ihn mit ihr verbunden hat.

Über die Toten nur Gutes, heißt es. Diejenigen, die an ein Leben über den Tod hinaus glauben, wissen um die Theorie, dass innerhalb von sieben Wochen nach dem Tod, auf die nächste Wiedergeburt eingewirkt werden kann. Das soll der Seele ermöglichen, ein späteres, gutes Leben führen zu können. Möge sie also jeder von euch gedanklich mit all den Wünschen ausstatten, die ihr ihr von Herzen gönnt. Denkt nicht, euer Wunsch wäre zu gering, sondern wisset, dass ihr etwas Großes bewirken könnt. Jeder eurer Gedanken ist wie Samen einer Pusteblume. Als schöpferische Wesen, die ihr seid, könnt ihr, gleich den Samen der Pusteblume, einen brach liegenden Acker zum blühen bringen.

Neben solchen Wünschen helfen wir der Seele auch mit guten Taten, in ihrem Sinne ausgeführt, damit sie ein neues Leben in Frieden  führen kann. „Gehe hin in Frieden“ sagen wir stets an einem Grab, doch sollten wir nicht auch Wert auf ein Leben in Frieden legen?  Möge die von uns Gegangene also wiederkehren, um folglich ein Leben in Frieden, Hingabe, Güte, Mitgefühl und Wertschätzung für alle Wesen zu führen. Das ist unser Geschenk an diese Seele, deren Körper wir heute verabschieden.

Das Leid der Verstorbenen war lang, weil sie damit gehadert hatte, bei ihrem Tod alles abgeben zu müssen, was sie Zeit ihres Lebens angesammelt hatte. Das waren schöne Kleider, Ansehen und insbesondere ihre Macht. Doch letztendlich musste sie all das zurücklassen.

Liebe Brüder und Schwestern. Wenn wir um jemanden trauern, stellt sich oft die Frage, was man vor dem endgültigen Abschied noch gern gesagt hätte, was man hätte klären oder verzeihen wollen. Unausgesprochene Worte können auf dem Gewissen lasten und auch ein in Zorn ausgesprochenes Wort würde mancher gern rückwirkend ungeschehen machen. Doch ein einmal gesagtes Wort ist wie ein abgeschossener Pfeil, der unweigerlich sein Ziel erreicht. Das wird oft bedauert und betrauert. Schuldgefühle belasten oft zusätzlich einen Trauerprozess, den jeder für sich allein geht.  

Trauer ist schmerzlich. Niemand kann verhindern dass es weh tut. Sehr weh. Wir wissen, dass es keinen Weg zurück gibt, doch es ist schwer loszulassen. Das kennt so mancher von schlechten Gewohnheiten. Lieber beharren sie auf dem Altbekannten, weil sie sich vor dem Danach fürchten, das im Dunkeln liegt und unbekannt ist. Es ist die Furcht vor dem Sturz ins Ungewisse.

Doch das Ungewisse und der tiefe Schmerz haben auch ihre guten Seiten. Sobald die frische Trauer vergangen ist, können sie uns die Augen dafür öffnen, gewisse Erfahrungen in unserem Leben in einem anderen Licht zu betrachten. Dieser Wechsel der Perspektive öffnet das Bewusstsein für Wege,  die wir zuvor nicht wahrgenommen haben. Obwohl diese immer schon da waren. Wir haben nur woanders hingesehen. Schicksalsschläge wie dieser, können zum Hinschauen bewegen, und, da: ein zur Seite gezogener Vorhang, er lüftet den Schleier vor unseren Augen und was wir erhaschen, bekommt ein völlig neues Gewicht.

Diese neue Erkenntnis lässt jeden reifen, der durch tiefen Schmerz gegangen ist. Mancher erkennt in schweren Stunden, dass Eindrücke auch anders sein können. Wir können uns täuschen. Weil wir Menschen sind. Und irren ist menschlich.  Zur Täuschung gehören immer zwei. Derjenige, der täuscht, und derjenige, der sich täuschen lässt. Die Ent-täuschung, gemeinhin als schmerzliches Gefühl angesehen, dass wir spüren, nachdem uns jemand einen unerwarteten Schmerz zugefügt hat, ist jedoch nichts weiter, als das Ende der Täuschung, über die wir uns freuen dürfen.  Mancher mag sich fragen, warum ich über Täuschung an diesem Grab rede. Zur Erklärung möchte ich euch eine kleine Geschichte aus der Mythologie erzählen. Aber zuvor noch ein Satz eines großen deutschen Dichters und Denkers, den ich verehre.

Johann Wolfgang von Goethe

„Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse, in Zeitungen, in Encyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist.“

Und nun die kleine Geschichte. Sie handelt von der Wahrheit und der Lüge.

In ihr heißt es:

Die Lüge war schon immer ein verführerisches Geschöpf. Stets überschwänglich und protzig, zog sie die Aufmerksamkeit aller gern auf sich. Doch ihr löchriges Gewand verriet, dass sie etwas anderes war, als sie vorgab zu sein. Wer davon wusste, schätzte ihr Verhalten wenig. Doch es gab zahlreiche Wesen, die sich an der Lüge erfreuten und sie bewunderten.

Auf der anderen Seite gab es die Wahrheit. Sie verhielt sich eher unauffällig. Ihr waren jedoch ein aufrechter Gang und inneres Strahlen eigen, und ihre ganze Integrität und Majestät spiegelte sich auf ihren prächtigen Gewändern wider. Die Menschen betrachteten sie mit Wohlwollen, und behandelten sie mit Achtung und Ehrfurcht.

Eines Sommertages begegneten sich die Wahrheit und die Lüge. Sie spazierten eine Weile im Wald zusammen, und kamen zu einem klaren Teich. Die Lüge steckte ihre Füße in das Wasser, und sagte, es sei herrlich erfrischend. Die Wahrheit prüfte es, und stimmte der Lüge zu. Dann legte die Lüge ihr Gewand ab und stieg in den Teich. Es sei einfach wunderbar, lachte sie, und lud die Wahrheit ein, zu ihr ins Wasser zu kommen. Die Wahrheit kam zu dem Entschluss, dass es nicht schaden könne, mit der Lüge zu baden. Also gesellte sie sich zu ihr. Die beiden vergnügten sich im Wasser und genossen die herrliche Abkühlung.

Und während die Wahrheit sich noch am Bad erfreute, schlich die Lüge sich heimlich aus dem Wasser und zog die Kleider der Wahrheit an. Als die Wahrheit das entdeckte, forderte sie die Lüge lauthals auf, ihr die Kleider zurückzugeben. Doch die Lüge lachte nur und rannte davon. Sie lief vor den Menschen in den Kleidern der Wahrheit herum und prahlte mit ihrem Outfit. Die meisten durchschauten sie nicht, außer ihren Anhängern, die sie für den schlauen Trick bewunderten. Mehr und mehr Verehrer fand die Lüge jetzt auch unter den Menschen, die  zuvor der Wahrheit zugetan waren.

Feste Freunde der Wahrheit jedoch beobachteten die Lüge derweil misstrauisch, manche versuchten ihre Tarnung aufzudecken. Doch gerade diejenigen, die genau wussten, dass es sich um die Lüge in Gewändern der Wahrheit handelte, verteidigten die Lüge umso hartnäckiger gegen diese Lästerzungen, die sie Verräter nannten.

Die Wahrheit hatte sich einige Tage lang ratlos im Wald versteckt. Doch irgendwann entschied sie sich dazu, erhobenen Hauptes und als völlig nackte Wahrheit, zu den Menschen zurück zu kehren. Sie hatte sich geweigert die Kleider der Lüge anzuziehen, weil sie sich nicht entwürdigen wollte. Nun, wo sie so offenkundig vor ihren Augen stand, würden die Menschen doch die Täuschung erkennen, oder? Keine Spur. Sie waren entsetzt über die Schamlosigkeit der Wahrheit, die es wagte, sich nackt vor ihnen zu zeigen. Und so akzeptierten sie lieber die als Wahrheit verkleidete Lüge, als zur nackten Wahrheit zu halten.

Diese Geschichte ist jahrhundertealt und genau wie damals, wandelt die als Wahrheit verkleidete Lüge noch heute auf der Erde. Doch warum konnte sie so lange Zeit überleben? Weil ihre Anhängerschaft so groß war, dass bei ihrem Tod jedes Mal unzählige Menschen wünschten, sie möge in der Welt bleiben. Und so wurde das Dasein der als Wahrheit verkleideten Lüge immer und immer weiter verlängert.

Doch damit, liebe Brüder und Schwestern, ist jetzt endlich Schluss. Und um dieses Ende zu besiegeln, haben wir uns heute hier versammelt. Wir alle wissen, wer von uns gegangen ist. Es ist die Lüge. Hier liegt sie nun. Sie, die Kindern, Männern und Frauen, Tieren und unserem Planeten, unendliches Leid zugefügt hat. Sie, die über uns und unsere Erde Korruption, Gier und Machthunger gebracht hat, was zu Leid, Armut, Unterdrückung, Menschenhandel und zahlreichen weiteren Verbrechen geführt hat.

Solange die meisten Menschen darin gefangen waren, der als Wahrheit getarnten Lüge zu glauben, ist die Welt so dunkel geblieben, wie sie war. Doch jetzt ist endlich die Zeit gekommen, die Lüge zu begraben auf dass es wieder hell auf Erden werde. Es ist Zeit, dass die Wahrheit ihre eigenen Kleider wieder anlegen kann. Es ist Zeit dafür zu erwachen, und die Verursacher allen Übels zu entlarven. Dass sich heute hier hundertausende von euch versammelt haben, zeigt, dass ihr die Lüge und ihre Anhänger durchschaut habt.

Wie sagte Bertold Brecht? „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist nur ein Dummkopf, aber wer sie weiß, und dennoch eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“

Für diejenigen, die gutgläubig waren, und von all der Täuschung nichts wussten, wird es ein schmerzvolles Erwachen und großes Trauern geben. Sie werden erkennen, wie sie euch angeblichen Verrätern durch ihr Beharren auf Unwissenheit und ihre Ignoranz, reichlich Leid angetan haben. Und ja, es wird ein großes Zähneklappern unter den Verbrechern geben, die der Lüge frönten, sich an ihr ergötzten, ihr finsteres Spiel gar mitspielten und halfen, die Menschheit zu überlisten. Sie alle werden für ihre Taten büßen. Doch ihr, übt keine Rache, werdet nicht hart oder hochmütig gegen sie. Lasst euer Herz erweichen und vergebt ihnen.

Lasst uns, liebe Brüder und Schwestern, allen Ballast der alten Erde ablegen, um leichten Schrittes in die neue Ära zu gehen, die jetzt anbricht.  Unsere Freude wird so groß sein, dass sie uns Schmerz und Leid bald vergessen lassen wird. Und weil ihr diese harte Zeit mit Rückgrat und aufrechter Liebe zur Wahrheit überstanden habt, möchte ich euch bitten, auch jetzt charakterstark zu sein, Güte zu zeigen, und denjenigen hilfreich zur Seite zu stehen, die ihren Irrtum nachträglich erkennen und bereuen. Tröstet sie in ihrer Trauer, trocknet ihre Tränen, nehmt sie in eure Mitte auf und segnet sie. Sagt ihnen, dass sie die Wahl haben, und sie diese wohl bedenken mögen.

Versichert ihnen, dass SIE es sind, die darüber entscheiden, ob sie lieber einer paradiesischen Zukunft entgegengehen wollen, in der es ein allumfassendes Miteinander voller Liebe, Mitgefühl, Wertschätzung, Dankbarkeit und Fürsorge gibt, oder ob sie sich zur Lüge ins dunkle Grab legen wollen.

So gehet denn hin in Frieden, genießt ein langes und gesundes Leben, in Freiheit, Würde und Wahrheit.

So sei es

Der innere Kraftort.

Geführte Meditation

Bei Verlust oder Tod.

Geführte Meditation